Was soll ich dazu sagen, wenn zwischen Bevölkerung und Arbeitnehmern unterschieden wird, um die Fallzahlen herunterzurechnen? Wieso ist es möglich, unmenschliche Arbeitsverhältnisse über Jahre zu kennen und zu tolerieren? Wieso ist es normal, die Armut anderer Nationen auszunutzen und billig produzieren zu lassen? Warum bleiben wir am Überkonsum hängen, obwohl wir genau wissen, wozu das führt?

Ja gut, das sind keine neuen Fragen und ich bin ja nicht dumm. Ich diskutiere darüber schon seit Studententagen. Damals, vor etwa hundert Jahren, schlugen wir uns die Nächte um die Ohren, um uns gegenseitig unsere Meinungen zu bestätigen. Andere Gesprächspartner kamen nicht infrage, denn wir waren die Guten und wollten unter uns bleiben. Wir wollten die Welt retten und waren fest davon überzeugt, dass es gelingen würde. Heute diskutiere ich immer noch gerne, bevorzugt mit Menschen, die sowieso schon meiner Meinung sind. Andere leben anders und finden sich in meinen Welten so wenig zurecht, wie ich in ihren.

Ich lebe ganz bequem so, wie ich lebe und will das auch fortsetzen. Nur Corona macht mir gerade einen Strich durch die Rechnung. Althergedachtes funktioniert nicht mehr so gut. Ich will weiterhin mein Leben genießen. Ich will das beste aus meiner Situation machen. Ich will flexibel bleiben. Und ich will ……Ja, was eigentlich? Politisch aktiv werden und handeln statt zu diskutieren? Nein, das führt jetzt in eine anstrengende Richtung.

Ich will mich lieber mit meinen Gewohnheiten und Denkmustern auseinanderzusetzen. Damit habe ich genug zu tun. Vielleicht bewirke ich damit etwas im Kleinen. Vielleicht verändere ich mich, weil ich einigen Denkfallen auf die Schliche komme.

Werte ich hin und wieder Menschen in meinen Gedanken und Taten ab? Ja.

Will ich das ändern? Ja. Ich erkenne diese schädlichen Gedanken heute viel schneller als noch vor einigen Monaten. Ich stelle sie ab und siehe da, mein Blick weitet sich. Ich nehme wahr, wie unfreundlich ich häufig über mich selbst denke. Diese blöde Selbstabwertung ist viel schwerer abzustellen, aber ich bleibe dran.

Passend dazu lese ich zum dritten Mal den Roman Ausnahme von Christian Jungersen. Die Geschichte regt mich auf. Sie macht mich wütend und traurig. Ich bin sauer darüber, dass die Protagonistinnen immer wieder den selben Mist anstellen. Als ob sich ein Roman verändern könnte, nur weil ich ihn mit anderen Augen lese.

Nein, ein Roman wird sich nicht verändern, wenn er nicht umgeschrieben wird. Mit den schädlichen Gedanken verhält es sich wohl ähnlich. Sie verändern sich nicht, wenn ich nicht daran arbeite. Die Welt werde ich damit nicht retten, aber vielleicht ändert sich mein Umgang mit mir. Und vielleicht hat das positive Auswirkungen auf meine unmittelbare Umwelt.

Das kann ich immerhin tun.

3 Gedanken zu “Welt retten

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