Vom Altern und Mohn

Mir fällt es nicht leicht zu verstehen, dass mein körperliches Altern kein persönliches Versagen ist. Manche haben Glück und sind gesund und manche nicht. Und viele sind überhaupt nicht so alt geworden wie ich. Die Liste der Verstorbenen, die ich zu Lebzeiten kannte, wird länger. Mein Jahrgang ist immer häufiger in den Todesanzeigen vertreten. Ich weiß, das ist der Lauf der Welt und meine Eltern und Großeltern haben mir das damals mit den gleichen Worten erzählt. Aber erst jetzt glaube und fühle ich es und das ist nicht immer schön.

Ich sehe das so: wir werden geboren, leben und sterben. Wir lernen, entwickeln uns und jeder Schritt erweitert das Bewusstsein. 2016 schrieb ich dazu diesen Text, der mir gerade in den Sinn kommt: https://frauholle52site.wordpress.com/2016/09/25/jahreszeiten/.

Der Gedanke, dass ich so ganz allmählich in meinen Winter übertrete, ist nicht abwegig. Vor fünf Jahren, als ich den oben erwähnten Text schrieb, erlebte ich mich noch im goldenen Herbst. Jetzt ist später und der Winter zumindest in Sicht. Und somit verstehe ich, warum ich gerade so viel herumdenke und plötzlich neue Blickwinkel sichtbar werden. Manchmal bin ich traurig, dass ich ohne Partner an meiner Seite in die letzte Jahreszeit des Lebens gehe. Das ist leider so, hat aber nicht nur Nachteile. Ich kann das ja auch ganz gut alleine: meine Grenzen erweitern, dankbar sein für mein Leben und mich öffnen für das, was ist und was kommt. Wahrscheinlich ist mein Status kein Zufall, sondern mein Bestes.

Und weil ich aktuell ja noch viel tun und machen und denken kann, will ich Euch zeigen, was ist, nämlich fast kein Frühling mehr. Der Mai verabschiedet sich und der Mohn blüht in den Feldern, an den Straßen und in meinem kleinen Garten. Störche sind unterwegs, Vögel zwitschern oder jagen, je nachdem, was sie sind, der Kuckuck versucht melodisch zu klingen und Kühe sind sehr zärtlich miteinander, wenn man sie lässt.

Mein Buchtipp: Mona Jaeger, Der Lauf des Lebens, Geschichten vom Menschsein http://buecherecke8.blogspot.com/2017/02/der-lauf-des-lebens-mona-jaeger.html

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Traditionen

Magen und Gelenke machen mir zu schaffen. Ich bleibe zu Hause und sorge für mich und ein wenig Bewegung zwischen den Ruhezeiten. Rasenmähen und Buchsbaum schneiden, ein bisschen in den Beeten kramen, mehr ist heute nicht drin. Radfahren schon gar nicht.

Andere feiern Kunst und Widerstand im Landkreis (https://www.ndr.de/kultur/kunst/Wendland-Tausende-feiern-Auftakt-der-Kulturellen-Landpartie,kulturellelandpartie102.html) und die Schützenbrüder machen sich auch schon wieder bereit. Sie wollen aufmarschieren und Waffen präsentieren. Das gehört so, ist Tradition und hat ja auch nichts mit echten kriegerischen Handlungen zu tun. Sagen sie und und setzen sich ihre Hüte mit den großen Federpuscheln auf. Sie freuen sich, dass es endlich wieder losgeht und wer will, kann sich hier anschauen, wie es vor 10 Jahren in Lüchow aussah. Ganz hinten rechts ist unser Haus zu erahnen, welches wir einstmals gemeinsam bewohnten, mein Mann und ich. Einige bekannte Gesichter huschen durch das Bild und einige leben schon nicht mehr.

Na gut, mag es mögen, wer es mag, und ich gönne den Menschen ihren Spaß. Ich bleibe heute zu Hause und der Wind bläht sich auf. Mal sehen, was im Garten und in der Nachbarschaft los ist:

Alternative Realitäten

Kürzlich sah ich eine Serie, in der die Protagonisten in alternative Realitäten reisen konnten: https://www.moviepilot.de/serie/hatte-ich-dich-nie-getroffen. Ich mochte diese philosophische Betrachtungsweise der unterschiedlichen Universen, in denen das „Was wäre , wenn….?“ immer wieder neu erlebt wurde.

Wir leben ja alle in unserer eigenen Realität. Jeder Mensch schafft sich sein Universum und es ist fraglich, ob wir uns je wirklich begegnen können. Früher dachte ich das, heute bin ich mir nicht mehr so sicher.

Meine eigene Realität verändert sich ständig. Manchmal spiele ich mit ihr. Das verschafft mir Bewegungsfreiheit und Stabilität.

Drei Schwestern

Ich schlafe tief und fest, als es klingelt. Mitten in der Nacht mache ich natürlich nicht auf. Das ist klar. Und dann ist jemand im Haus. Ich gucke nach und finde meinen Ex-Mann in der Stube. Wir umarmen uns. Er legt sich auf das Sofa und ich deckte ihn zu. Dann gehe ich wieder in mein Bett. Ich bin traurig und kann es nicht ändern.

Mein Mann ist vor einigen Jahren gestorben. Es muss also ein Traum gewesen sein. Er war mir so nah, als wäre er da. Habe ich das Klingeln mitten in der Nacht auch nur geträumt?

Als ich am frühen Morgen aus dem Fenster gucke, begrüßt mich der Klatschmohn in roter Pracht. Die Blüten wiegen sich im Wind, so als ob drei Schwestern miteinander tanzen, denke ich und bin erleichtert.

Ein paar Stunden später sind ihre Blütenblätter fortgeweht.

Sonntagsruhe

An die Sonntagsruhe halten sich die Vögel im Mai ausdrücklich nicht. Das ist ganz wunderbar, denn morgens sind alle anderen ziemlich still im Wendland. Noch. Am Donnerstag beginnt die Kulturelle Landpartie (https://de.wikipedia.org/wiki/Kulturelle_Landpartie), die uns bis Pfingstmontag Touristenströme ins Land schwemmt. Allerdings auch viel schöne Kunst, Theater, teure Kleidung, Schmuck und Krempelkram. Theater, Musik und Kuchen in Massen gibt es in fast allen Dörfern zu verzehren. Der ursprünglich Sinn der KLP geht ein wenig verloren, finde ich, aber einige politische Diskussionsrunden und Ausstellungen werden immer noch angeboten. Die Pandemie ist für die meisten Menschen kein Thema mehr und viele freuen sich auf die turbulenten Tage.

Ich bin ja mehr für die Stille. Die Wolken am Himmel und eine angenehme Kühle lockten mich gestern auf das Rad. Lange war ich in der wunderbaren Mailandschaft unterwegs. Zum Schluss radelte ich noch am eigenen Vorgarten vorbei, der der bunteste in unserer Reihenhausreihe ist und darum von mir fotografiert wurde.

Eine lustige Nach- Geburtstagsfeier einer Freundin mit temperamentvollen Plaudereien gefiel mir als Kontrastprogramm zum ruhigen Alleinsein und Naturgenießen. Beides hatte ich gestern.

Serienmarathon

Serienmarathon

Mit meinen Gedanken bin ich in Dänemark. In meinen Träumen bin ich dorthin ausgewandert. In der Realität wird das nie passieren, aber immer wieder kam mir in den Sinn, dass ich mir wenigstens die dänische Serie „Rita“ als Ersatz dafür doch noch einmal ansehen könnte. ( https://www.dwdl.de/wocheinserie/78981/rita_diese_lehrerin_sollten_sie_kennenlernen/)

Gedacht und passiert. Ich stecke mitten im Serienmarathon und kann nicht genug bekommen von der dänischen Pädagogik und Lebensart. Auch wenn mir Ritas ewige Raucherei auf den Keks geht, alles andere finde ich spannend, liebenswert und manchmal auch sehr lustig.

Ich war auch Lehrerin. Natürlich bin so ganz anders als diese Frau. Aber einige ihrer Eigenschaften, Sehnsüchte und Haltungen finde ich doch in mir wieder. Darum denke ich: Wenn mein Leben eine Serie wäre, kämen mit den richtigen Einstellungen und einer guten Schnitttechnik mindestens 20 erfolgreiche Staffeln dabei heraus.

Ich mag diese Idee und bin zufrieden. Auch wenn es jetzt ruhiger um mich herum ist, ein turbulentes soziales Leben habe ich gehabt! Und es wird ja auch noch ein paar neue Folgen geben……