Sehrspätsommer

Sehrspätsommer

Der August verabschiedet sich mit guter Laune. Im Garten treibt sich allerhand Getier herum, das Abendrot erscheint immer früher, aber durchaus prächtig und mein Schreibtisch bleibt unaufgeräumt, bis die Vorbereitungen zum Hochzeitssketch beendet sind. Mein Sohn und ich finden es witzig, dass seine Freundin unsere kleine „Rede“ mit einer „Powerpoint-Präsentation ohne Stromverbrauch“ unterstützt, indem sie Bilder und Fotos auf Tonkarton in die Runde zeigt.

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Damit leben

Nein, meine Angststörung ist nicht verschwunden. Sie gibt nur meist Ruhe, weil ich alleine lebe. Und darum ist mein Dasein kein Zufall. Bindungsstörung, soziale Phobie, Angststörung, egal wie ich die seltsamen, diffusen Gefühle und körperlichen Reaktionen nenne, sie beeinträchtigen mich und weil ich das nicht weg therapiert kriege, lebe ich damit.

In der letzten Zeit bin ich stärker mit meinen schlimmen inneren Gesellen konfrontiert, weil ich „nach Corona“ wieder ein soziales Leben habe und dies auch weiter ausbaue. Ich habe gelernt einzuschätzen, was körperlich passiert und wie die Angst einzuordnen ist. Das ist gut. Schlecht ist, dass alle geplanten Unternehmungen, auf die sich die meisten freuen, mir erst einmal schwer zu bewältigen, dunkel und gefährlich erscheinen. Besonders intensiv arbeiten diese Gefühle und Gedanken morgens. Im Laufe des Tages strahlen die Farben wieder und ich kann mich zur Freude und Vorfreude vorarbeiten.

Ich übe mich darin, die Angst nicht so ernst zu nehmen, die Emotionen anzuerkennen und sie dann aber auch ziehen zu lassen. Ich akzeptiere, dass ich oft erschöpft bin, bevor und nachdem ich etwas unternommen und Nähe zu Menschen gelebt habe. Ich wachse ja auch gleichzeitig und fühle mich lebendig.

Wer diesen Zustand nicht kennt, kann meine Schilderung hier nicht nachvollziehen. Wer sich mit Ähnlichem herumschlägt, weiß, wie anstrengend es sein kann, sich dem immer wieder auszusetzen. Wir sind tapfer und machen, denn wir wollen ja auch nicht vereinsamen, weil es einfacher zu sein scheint.

Ich wollte mich gestern unter Leute mischen und steuerte einen Dorfflohmarkt an. Als ich die Menschenmassen sah, spürte ich deutlich, dass mir das Gedränge zu viel sein wird und ich lieber alleine sein wollte. Ich hörte auf mein Bauchgefühl, kehrte um und radelte wie gewohnt mit mir selbst durch die Landschaft. Es gibt eben auch Zeiten, in denen ich mich erholen und ausruhen will. Dann geht das mit den sozialen Kontakten später umso besser.

Beim Fotografieren höre ich auf, mich mit mir zu beschäftigen. Ich fokussiere mich auf das, was ich sehe. Und darum tut mir mein Fotoapparat so gut.

Gestern sah ich hauptsächlich Strukturen, Linien, Technik und die herbstliche Farben der Natur. Und das Glitzern im Wasser. Aber das bekam ich nicht so richtig eingefangen. Nicht alles lässt sich von mir festhalten und das ist auch gut so.

Gefühlsdinge

Gefühlsdinge

Ich sehe Fotos vom Urlaub in Dänemark und bin so traurig, wie selten. Oder eher wehmütig? Keine Ahnung, aber ähnlich ergeht es mir, wenn ich sehe, wie Menschen locker in die Hocke gehen oder zu zweit im schnellen Tempo an mir vorbei spazieren. Reiseberichte, Liebesfilme und Hochzeiten lösen ähnliche Gefühle aus.

Bin ich neidisch? Nö, Neid werde ich das nicht nennen.

Ich denke, ich habe Sehnsucht und nehme Abschied.

Ich verabschiede mich von Wünschen und Träumen. Ich verabschiede mich von der Hoffnung, dass bestimmte Dinge wieder so werden, wie sie einmal waren. Ich verabschiede mich vom jüngeren Ich und beginne, Erinnerungen neu einzuordnen.

Ich verabschiede mich von der geheimen Illusion an die Unendlichkeit des Lebens. Die Todesanzeigen von heute zeigen mir wieder einmal, dass mein Jahrgang (+,-) immer häufiger vertreten ist. Mein Verstand ist damit einverstanden, mein Herz noch nicht.

Akzeptiere ich noch nicht wirklich, dass mein Körper nicht mehr so mitmacht, wie ich es gerne hätte? Oder akzeptiere ich und gestehe mir nur die Gefühle, die auftauchen, nicht ein? Es wäre wohl gut mir zu erlauben, ab und zu darüber traurig zu sein, dass vieles nicht mehr geht. Vielleicht fällt es mir dann leichter, zuversichtlicher zu werden und zu wissen, da kommt noch was, nur anders.

Ich verstehe das Reden meiner Großeltern und Eltern erst jetzt so richtig. Damals habe ich nicht richtig zugehört. Ich konnte es so wenig verstehen, wie meine Kinder es heute tun.

Und ich weiß, was es bedeutet, ohne Berührungen und Zärtlichkeit zu leben. Ich weiß, dass es sehr vielen genauso ergeht, aber das macht es nicht besser. Vielleicht ist es gut, dass meine Traurigkeit sich zeigt, denn mit ihr zusammen wird das Ganze dann doch viel leichter und das Leben ist immer noch schön.

Alles klar und ich wünsche Euch ein entspanntes Wochenende!

Gut vorbereitet

Gut vorbereitet

Ich bin jetzt stolze Besitzerin eines Lippenstiftes! Seit gefühlten 260 Jahren habe ich keinen mehr gehabt, weil ich Farbe auf den Lippen nicht fühlen mag und immer besorgt bin, dass sie verschmieren könnte. Jetzt habe ich einen ganz dezenten….Ihr wisst schon: Hochzeit!…..und ich übe.

Außerdem neue Mascara, welche den Wimpern 490 % mehr Volumen geben soll. Leider vergaß ich, dass ich normalerweise wasserfeste benutze und probiere nun aus, wie sich die neue verhält. Die soll empfindlichen Augen gut tun und Wimpern pflegen, weil sie Balm enthält. Keine Ahnung, was das ist. Und heißt es tatsächlich die Mascara und nicht das? Früher war das einfacher, als wir Wimperntusche benutzten, Tusche ist ja eindeutig die. Und die verschmierte immer. Mal sehen, wie ich heute mit der aktuellen nach dem Mittagsschläfchen aussehe.

Ich schaue zum dritten Mal in den Spiegel und das Balm hat endlich gewirkt. Die Anzahl der Wimpern und ihr Volumen haben sich nahezu verdoppelt, die Augen strahlen und nur das Wimpern-Klimpern muss noch ein wenig geübt werden. Auch meine Lippen sehen sehr schön aus. Zum Glück haben sie ihr Volumen nicht, wie versprochen, verdoppelt, aber sie glänzen doch recht verführerisch und nichts ist verschmiert oder liegt auf den Zähnen.

Schade, dass mich heute niemand mehr sieht. Zum Rausgehen ist es mir jetzt schon viel zu warm.

Die Rede ist formuliert, Geschenke sind besorgt, Anziehsachen hängen parat und meine liebste Friseurin kommt ein paar Tage, bevor es losgeht, zu mir und dann werde ich wieder eine Frisur besitzen. Die letzten Jahre habe ich selbst Haare geschnibbelt, aber nun geht das nicht mehr. Wenn schon Lippenstift, dann auch Haare.

Es kann meinetwegen losgehen, aber die Zeit zeigt mir einen Vogel und macht, was sie immer tut. Eigenwillig geht sie ihren Gang im eigenen Tempo. Jetzt gerade schleicht sie den Tag entlang. Am Hochzeitstag meines Sohnes darf sie gerne eine Weile stehen bleiben, aber das wird sie nicht tun. Dann wird sie rennen……

Sonntagsausflug

Im aktuellen „Stern“ gibt es eine Fotostrecke über Freibäder. Wunderbare, liebevolle Fotos, die mich so rühren und mich an ein bestimmtes Fotobuch erinnern, welches Amateurfußball gekonnt in Szene setzt. Ob das der gleiche Fotograf ist? Ich recherchiere und tatsächlich, ich habe richtig vermutet. Ein wenig Ahnung über die Fotografie habe ich mir ja doch schon auch ohne großes Wissen angeeignet. Kennt Ihr den Fotografen Christian Werner? (https://www.ndr.de/kultur/buch/Bildband-ueber-Deutschlands-Kreisliga-Helden,kreisligahelden102.html) Ich mag seinen Blick auf die Menschen und würde selbst diese auch gerne häufiger fotografieren. Das dachte ich gestern auf dem Kinderfest. Was für wunderbare Motive! Ich hätte am liebsten lange und ausdauernd fotografiert. Ich ließ das aber lieber und machte schnell. Nicht jede*r mag abgelichtet werden.

Ich begann meine Sonntags-Radrunde also mit der Lüchower Innenstadt. Ich sah dem bunten Treiben auf dem Kinderfest eine Weile zu und fand: Die Kleinen amüsieren sich köstlich. Mit „Benjamin, der Elefant“ und „Hurra, hurra, der Pumuckel ist wieder da“ im Ohr verließ ich die kleine Stadt und freute mich auf das stille Land.

So mag ich den Spätsommer: Klare Sicht, nicht zu heiß und dazu noch windstill. Und heute ist es immer noch so verlockend da draußen. Rentnerin zu sein hat auch seine schöne Seiten!

Gut gelauntes Wochenende

Gut gelauntes Wochenende

Ach, wie war das schön! Mein Nahdransohn besuchte mich und die Vorbereitung der Bräutigammutter- und Bräutigambruderrede ging zügig voran und war gespickt mit viel Gelächter. Das tat gut und die Leichtigkeit speicherte ich als Seelen- Vorrat ein. Wir planten ausführlich unsere Anreise mit dem Auto in die große Stadt und waren uns sicher: Wir schaffen das. Wir werden uns dann am nächsten Tag ein Taxi zum Standesamt gönnen. Wir Landeier sind nicht kompatibel mit dem Stadtverkehr.

Abends auf meiner Radrunde kribbelte meine gute Laune noch nach und meine Umwelt passte sich an. Sogar die Störche schienen munterer als sonst.

Eine junge Frau in wallenden Gewändern kam mir entgegen und sie trug etwas auf dem Kopf. Ich war neugierig, schaute genauer hin und siehe da, es war ein Smartphone, welches sie anmutig spazieren trug und dabei munter plauderte. So etwas hatte ich noch nie gesehen und fand es auch ein wenig lustig.

Auf dem Marktplatz wurde gerade ein großer Berg Sand vom Lastwagen gekippt. Morgen war ein Kinderfest geplant und die Geschäfte würden offen sein. (Also eigentlich ist das heute, aber gestern war es eben morgen.) Ich fragte mich, ob sich die ganze Aktion mit dem Sand und dem Kinderfest dort mit Förmchen, Eimern und Schaufeln für einen Tag lohnen würde und ich hätte ihn gern lieber ständig irgendwo. Vielleicht am Fluss. Aber da sind natürlich keine Geschäfte zu machen. Ich dachte daran, morgen mit Sonnenschirm, Wolldecke, Picknickkorb und Badebekleidung den Hügel zu erklimmen um „Oma am Strand“ zu spielen. Mein Kopfkino ließ sich nicht bremsen und ich fand es schade, dass ich niemals so mutig sein würde.

In meiner Straße saß ein kleines Mädchen auf einem Ding, welches ein wenig wie ein ganz kleines Kettcar aussah. Allerdings musste sie nicht treten, sondern das Gefährt wurde elektrisch angetrieben. Darüber wollte ich nicht nachdenken. Ich nahm es einfach so hin. Ihr großer Bruder gab in einer mir fremden Sprache Anweisungen, damit sie mit diesem Teil von der Straße über den Bordstein auf den Gehweg gelangen könne, doch sie schaffte es nicht. Ich grinste vor mich hin und radelte vorbei. Lustiger Abend heute, dachte ich.

In der Nacht ging ich noch einmal im Garten spazieren und auf der anderen Seite des Zauns sah mir ein Igel dabei zu. Das war dann ein würdiger Abschluss des Tages und beschwingt ging ich ins Bett um mich ins achtsame Morden (https://www.youtube.com/watch?v=ZaV8ov3uag0) zu vertiefen und zu lernen.

Und heute starte ich ganz achtsam in den Sonntag und überlege ernsthaft, ob ich die Idee von der Oma auf dem Sandberg, die sich öffentlich ganz entspannt an den Strand träumt, nicht doch verwirklichen soll……

Kleine Angst

„Alles zu viel“, denkt sie und möchte sich auf eine einsame Insel beamen. Ohne alles, nur mit Wasser, Luft und Wetter. Und vielen Süßigkeiten, die nichts schaden und vor allen Dingen nicht dick machen.

„Wo bleibt denn dort das Leben?“, fragt sie sich und bleibt doch lieber da, wo sie ist.

Nur diese diffuse kleine Angst, die wäre sie gerne los. Aber die bleibt trotzdem.

„Auch gut“, denkt sie und macht ein kleines Schläfchen. Im Traum umarmt sie die kleine Angst.