Um zum Augenarzt zu kommen, muss ich in die nächste Stadt. In meiner gibt es nämlich keinen mehr, was ziemlich ärgerlich ist. Früher war es einfach, da konnte ich meinen Augenarzt zu Fuß erreichen. Jetzt ist der Anfahrtsweg lang und stellt mich vor große Herausforderungen. Mit dem Auto fahren geht nicht, weil Augentropfen das Selbst- Fahren nach Hause verbieten. Ich habe aus unterschiedlichen Gründen niemanden, der mich bringen und holen kann. Die Busverbindung passt nicht und der Fußweg, der mich vor einigen Jahren eher aufgemuntert hätte statt mich abzuschrecken, ist mir zu anstrengend geworden. Also was bleibt? TAXI. Genau. Teures Vergnügen und zusammen mit der selbstzuzahlenden Untersuchung, ob sich ein Glaukom ankündigt (die mit der Makuladegeneration ist mir mit 75 Euro einfach zu teuer), waren gestern über 100 Euro weg. Und dabei ist alles in Ordnung und ich hätte diesen Termin gar nicht gebraucht. Aber das weiß man ja nicht vorher.
Den Nachmittag verbrachte ich nach dem Augenarztbesuch mit großen Pupillen und darum halb blind und ziemlich müde zu Hause auf dem Sofa .
Gegen Abend wurde es dann besser und ich dachte: „Gut, dass ich wieder gucken kann!“
Heute geht es mir prima, denn ich habe keinen Termin. Erst morgen wieder. Und übermorgen Nachmittag. Drei Termine in einer Woche bedeuten schon fast Stress und nächste Woche wird es nicht besser. Allerdings will ich mich nicht beschweren und lieber ein wenig mit meinem Auge spielen!
Ich muss gleich zur Hochzeit meines Sohnes und wühle im Kleiderschrank. Ich habe nichts anzuziehen! Meine Güte, ich muss los, die warten schon alle auf mich🤦♀️. Ich wache auf und denke: „Ich schaffe das ja nicht einmal, da hinzukommen mit meinen Schmerzen und der Atemnot bei Anstrengung.“ Dann bin ich zum Glück richtig wach. Lustig, früher träumte ich, dass ich meine Formelsammlung für die Abiprüfung noch immer suche, während alle anderen schon längst fertig sind mit der Arbeit und nach Hause gehen. Heute träume ich von Anziehsachen, die ich nicht finde, während die anderen schon längst am Hochzeitfeiern sind. Grundthema: Ich schaffe das nicht 🥲. Hört es denn nie auf? Natürlich werde ich hinkommen, ich muss nur Hilfe annehmen beim Koffertragen und es akzeptieren, dass ich nicht mehr schnell gehen kann.
Ich schlafe wieder ein und träume schlimme Fluchtgedanken. Ja, das beschäftigt mich natürlich auch nachts und ich denke beim Aufwachen daran, wie absurd doch Kriege sind. Wozu sind die nützlich? Keiner weiß es und doch gibt und gab es sie schon immer. Es muss doch irgendwelche Theorien geben, wie Kriege entstehen und welcher Logik sie folgen. Ich werde mich demnächst um geeignete Lektüre kümmern.
Ich schaue aus dem Fenster und sehe Spatzen, die der Amsel ihr Nistmaterial klauen wollen. Ich sehe Dohlen, die versuchen einer anderen etwas aus ihrem Schnabel zu stehlen und sie wild durch die Luft verfolgen. Ich beobachte Spatzen, die miteinander kämpfen und sich gegenseitig verjagen. Ganz normale Revierkämpfe im Frühling eben und von wegen friedliche Natur! Menschen sind auch Natur, vielleicht ist es ihnen darum unmöglich, Weltfrieden zu schaffen.
Ich will das Treiben im Garten fotografisch festhalten. Die meisten Fotos gelingen nicht und werden gelöscht oder hier gezeigt als Beispiel meines Unvermögens, meiner Ungeduld und schlechten Augen. Die sind aber auch schnell, also nicht die Augen, sondern die Vögel, und manchmal finde ich auf den Fotos überhaupt keine mehr😂.
Doch ein paar Bilder sind zufriedenstellend und Blumen kann ich besser, das weiß ich.
Und weil mir heute eine Stunde fehlt, ist es jetzt schon spät und mir bleibt keine Zeit mehr für meinen täglichen Sport, zu dem ich sowieso keine Lust habe. Ich werde mir Nahrung zubereiten, mich später auf das Fahrrad setzen und noch später im Garten sitzen und Frühling gucken.🌷
Als ich gestern nach Hause kam, sah es am Carport etwa so aus:
Ich verstand die Unordnung nicht, fegte das alles zusammen und legte den ganzen Schlamassel ins Beet. Ich dachte, dass sich dann die Vögel bedienen können für ihre Nester.
Als ich heute morgen schlaftrunken aus dem Fenster schaute, bot sich mir dieses Bild:
Hä? Was soll das?
Ach so! Die Amseln haben sich ihr Baumaterial zurecht gelegt.
Ich frage mich, ob sie am Carport eine Amsel-Reihenhaussiedlung einrichten wollen.
Na gut, sollen sie machen. Überall verliebte Paare, da könnte ich glatt ein wenig neidisch werden, wenn ich wollte. Will ich aber nicht.
Sauer will ich auch nicht sein. Bin ich aber, obwohl ich weiß, dass das auch nichts bringt außer Falten und schlechte Laune. Trotzdem:
Alle Erwerbstätigen bekommen eine Energiepauschale von 300 Euro. Für jedes Kind noch mal 100 Euro drauf. Die Einmalzahlung für alle Transferleistungsempfänger*Innen (Was für ein Wort!) wird verdoppelt. Und irgendwas mit den Benzinpreisen und dem öffentlichen Nahverkehr war auch noch. Ihr wisst schon. Ich frage mich: Was ist mit den Nichtwerkstätigen, z.B. uns Rentner*innen? Glauben die Politiker*innen, dass wir alle so reich sind, dass wir keine Zuschüsse brauchen können? Oder denken sie, dass wir gar nicht heizen wollen und Strom uns nicht zusteht? Oder haben sie uns einfach nur vergessen?
So, das bin ich jetzt los und ich lasse den Ärger ziehen. Auch die Idee, nie mehr wählen zu gehen, wird unter Blödsinn abgespeichert. Es gibt wirklich Wichtigeres und Schlimmeres zu verarbeiten. Wobei ich noch auf meine Ersparnisse zurückgreifen kann, wenn meine nicht allzu üppige Rente am Monatsende nicht reicht, das ist mein Luxus. Anderen Menschen wird es nicht so gut gehen, das weiß ich.
Ich bin gar nicht mehr belastbar, was die Verarbeitung der äußeren Eindrücke betrifft. Ob das an der Corona-Ruhe liegt oder am zunehmenden Alter und meiner Erkrankung, ich weiß es nicht. In den letzten zwei Jahren hat sich mein Geruchssinn entwickelt, der vorher nie vorhanden war, dafür aber besitze ich für Großstädte keine Kraftreserven mehr. Weil ich weiß, dass ich hochsensibel bin, nehme ich das wohlwollend hin und freue mich, dass ich ländlich wohne mit viel Ruhe obendrauf. Allerdings jubeln mein Nahdransohn und seine Freundin ziemlich auffällig, als wir wieder in die Heimat zurückkehren. Sie freuen sich, keine Menschen zu sehen und dafür so viel Natur. Ich frage mich: Sind sie auch hochsensibel oder einfach nur waschechte Landeier?
Ich vertraue meinen Impulsen und fühle es schnell, wenn ich Gefahr laufe, Grenzen zu überschreiten. Ich übe seit Jahren, mich ohne Groll ein wenig zurückzuziehen, sobald ich den Kindern zu nahe komme. Sie müssen gar nichts sagen, ich merke es einfach. Das ist neu. Wir lernen, miteinander „zu schwingen“.
Ich sehe, wie die Kinder ihr Leben leben. Unabhängig, sehr einfühlsam und liebevoll in ihren Partnerschaften. Ich als Mutter werde geliebt, auf einer anderen Ebene, die sich seit einiger Zeit sehr gesund anfühlt. Ich kann meinen Söhnen und „Schwiegertöchtern“ auch etwas geben, und wenn es nur meine Gelassenheit ist, die sich einstellt, wenn ich mich ihnen zuwende. Die Mutterliebe ist sowieso immer da, aber ich kann sie selbst machen lassen, ohne mich anzustrengen. Ich muss sie nicht ständig zeigen, sie wird gespürt. So einfach ist das.
Wir machen das gut, sagt meine Seele.
Es ist gar nicht so leicht, eine unbeschwerte Zeit miteinander zu verbringen. Corona haben wir vielleicht ganz gut verarbeitet, aber Klimawandel und Krieg beschweren doch das Leben. Die jungen Leute sind bedrückt und traurig. Auch sie haben nur noch wenig Kraftreserven. Das merke ich und es tut mir weh. Trotzdem gelingt ein fröhliches Beisammensein. Ich denke, wir können uns gegenseitig stärken, weil wir wissen, wir sind füreinander da.
Mehr geht nicht.
„Wir haben gemeinsame Erinnerungen gesammelt“, sagt mein Nahdransohn auf dem Weg nach Hause. „Und wir haben Hochzeit geplant“, denke ich. Wer Spiele spielen will, fliegt raus, Sketche und Lieder sind nicht erwünscht und Reden am liebsten auch nicht. Geschenke nein, Geld ja. Als Beitrag für die Feier. Die soll schön werden. Mit der Perspektive kann ich mich als Bräutigammutter erst einmal entspannen und mich freuen, dass es uns alle gibt.