Meine Wahrnehmung erstaunt mich immer wieder.

Zum Beispiel Rehasport: Beim ersten Mal war ich sicher, eine Elefantendame zu sein. Gestern fühlte ich mich schon etwas leichter und gelenkiger. Beim ersten Mal dachte ich, ich könne mit den anderen nicht mithalten. Gestern beobachtete ich, dass dieser Gedanke überhaupt nicht stimmt. Ich kann einige Übungen nicht so gut wie andere und andere einige Übungen nicht so gut wie ich. Diese Tatsache ist mir in der ersten Stunde entgangen.

Beim ersten Mal traute ich mich nicht, mich vorzustellen. Gestern wollte ich das nachholen. Ich stellte mich also vor, sagte meinen Namen und alle guckten und schwiegen, bis eine sagte: „Namen vergessen wir ja sowieso!“ Dann stand ich also da und dachte: „Na gut, ist ja keine Selbsthilfegruppe hier.“ Ich nahm wahr, dass einige etwas verlegen waren und fegte mein schlechtes Gewissen sofort beiseite, denn ich wusste ja nicht, dass sich viele hier zwar schon lange kannten, aber nicht so gut, dass sie ihre Namen austauschen. Vielleicht liege ich auch falsch und alle anderen kennen sich und wollen mich nicht integrieren. Das ist natürlich absurd und nicht ernst gemeint. Vor ein paar Jahren hätte ich das Schweigen allerdings genauso interpretiert. Vielleicht wäre ich sogar nie wieder hingegangen.

Wir sollten uns für die Übungen zu zweit zusammentun. Wir zwei Neulinge bildeten eine Gruppe und tauschten zwischendurch kurz aus, welche Krankheiten uns herführten. Sie Rheuma, ich Arthrose und schon nahm ich sie ganz anders wahr.

Nun weiß ich also mehr. Keine Namen, aber einige unterhielten sich munter in der Umkleide und kleine Scherze machten wir alle während der Übungen sowieso. Ich werde mich auch früher oder später unterhalten. Ich werde einige näher kennenlernen und meine Wahrnehmung wird sich ständig verändern.

So ist es mir auch Silvester ergangen. Zuerst erkannte ich nur, dass alle so alt sind und ich nicht dazu gehöre. Am letzten Tag nahm ich die TeilnehmerInnen der Gruppe ganz anders wahr, weil ich mehr über sie wusste und ich mich gut bei ihnen fühlte. Ich wusste, dass die ersten Eindrücke nur mein eigenes Unwohlsein wiederspiegelten. Zum Schluss hatte ich viele Kontakte und öffnete mich selbst von Tag zu Tag mehr. Natürlich blieb es trotzdem nur mein eigenes Bild der anderen, aber dieses Bild war schon viel differenzierter als mein erster Eindruck.

Ich nehme meine Umwelt unterschiedlich wahr, je nachdem, wie es mir selbst geht. Kann ich je wissen, wie die Welt wirklich ist? Diese Frage will ich jetzt nicht beantworten, denn das haben kluge Philosophen vor mir auch nicht exakt klären können. Es macht aber Spaß, sich ab und zu mit dieser Frage zu beschäftigen.

 

 

 

8 Gedanken zu “Über die Wahrnehmung

  1. Ich finde das immer wieder sehr spannend, wie unterschiedlich man wahrnehmen kann. Das zeigt sich meist schon im Freundeskreis, wer was wie sieht. So kann man sich die Welt ganz schnell zu einem schönen, aber genauso schnell zu einem schlimmen Ort machen. Deine gefällt mir sehr gut 🙂 LG Almuth

    Gefällt 1 Person

    1. Danke, liebe Almuth. Mich irritiert manchmal, wie sich meine eigene Wahrnehmung verändern kann. Schade, dass ich erst jetzt dahinter gekommen bin! Ich hätte so manchen Streit vermeiden können! Egal, es ist nie zu spät für Einsichten! Liebe „Frühlingsgrüße“ aus dem Wendland! Regine

      Gefällt 1 Person

      1. So sehe ich das auch, es ist nie zu spät und besser spät als gar nicht (wo kommen immer diese passenden Sinnsprüche her 😉 Dafür kannst du es jetzt anwenden. Haha, ja, Frühlingsgrüße auch von hier! Almuth

        Gefällt 1 Person

  2. Also mit dem Sehen und dem Wahrnehmen habe ich auch so meinen Spaß. Ach, du meine Nase und jetzt, beim Schreiben, stelle ich außerdem fest, dass die gleiche Wurzel, wie in Wahrheit drin steckt……und das auch nur, weil mir kurz unklar war, ob man das Wort mit h schreibt. Fazit: die Wahrnehmung ist ein echtes Abenteuer…..

    Gefällt 1 Person

Hinterlasse einen Kommentar